Quelle: BERICHT Kraichgaukorn Fränkische Nachrichten vom 22.06.2024
Regionalität, Qualität und Genuss mit
jedem Bissen
Seit 1990 agieren Landwirte aus dem Kraichgau ohne Pflanzenschutzmittel. Auch acht
Erzeuger aus dem Main-Tauber-Kreis sind mit von der Partie
„Aurelius ist enttäuschend – sehr anfällig für Krankheiten“, erklärt Gerhard Risser und
meint damit nicht den römischen Kaiser. Aufmerksam lauschen etwa 30 Bauern den
Ausführungen des landwirtschaftlichen Sachverständigen. Auch der „Optimist“ mache
seinem Namen wenig Ehre und habe sich nicht bewährt, fährt er fort. Lobende Worte
hingegen für „Exsal“: „Ertragreich, standfest und von guter Gesundheit.“
Zehn neue Weizensorten wachsen derzeit auf den Versuchsfeldern von Harald Seubert
in Wenkheim. Bei einer Feldbegehung wurden jetzt Informationen gesammelt,
Erfahrungen ausgetauscht und festgelegt, welche Sorten es wert sind, künftig zu Mehl für
Brot von „Kraichgau Korn“ verarbeitet zu werden.
Vollständiger Verzicht
Am Anfang stand die Idee, qualitativ hochwertiges Getreide umweltschonend
anzubauen. Bereits damals legten sich die 15 Pioniere auf Premiumqualität fest und
begannen mit dem Anbau von E-Weizen. Nachdem eine Getreidemühle als Partner
gewonnen war, ging man an den Start. Das war die Geburtsstunde von „Kraichgau
Korn“.Begonnen mit 50 Hektar Weizen und zehn Hektar Roggen, erzeugt die
Marktgemeinschaft heute rund 1000 Hektar Winterweizen, 250 Hektar Roggen, 270
Hektar Dinkel, 30 Hektar Einkorn und 20 Hektar Emmer. Rund 50 landwirtschaftliche
Familienbetriebe mit unterschiedlichen Betriebsschwerpunkten gehören inzwischen der
Erzeugergemeinschaft an. Zwei Mühlen verarbeiten das Getreide, 40 Bäcker und einige
Hofläden gehören zu den Abnehmern des Mehls.Roland Waldi, Vorsitzender des „wirtschaftlichen Vereins“ „Kraichgau Korn“, erinnert sich
schmunzelnd an die Reaktion seines Vaters, als er vor nahezu 30 Jahren mit der Idee
ankam, komplett auf Pflanzenschutzmittel zu verzichten: „Ich hatte Glück, dass er mich
nicht vom Hof jagte. Schließlich warf er seine Vorbehalte über Bord und unterstützte
mich – dafür bin ich ihm bis heute dankbar.“
Rückkehr der schönen Wilden
Seit Jahrtausenden begleiten Wildkräuter den ackerbauenden Menschen – oft als
Unkraut verteufelt. In den 1950er Jahren begann man die Landwirtschaft zu optimieren
und auf Ertrag auszurichten. Auf überdüngten Feldern überlebten nur nährstoffliebende,
häufig auftretende Kräuter. Viele seltene Ackerwildkräuter wurden verdrängt oder starben den Gifttod. Damit endete
ein vieltausendjähriges Miteinander.
Der Weg von „Kraichgau Korn“ ist ein anderer. „Unser Weg führt zurück zur naturnahen
Landwirtschaft“, erläutert Landwirtschaftsmeister Roland Waldi das Konzept. „Wir
nehmen die Natur in die Pflicht und lassen sie mitarbeiten“. Die Rückkehr der „schönen
Wilden“ locke Insekten, Kleinlebewesen und Feldtiere an, eine gewaltige Armee von
Helfern, die sich auf das Vertilgen von Schädlingen spezialisiert habe.
„Regulieren statt bekämpfen“
„Regulieren statt bekämpfen“ ist unsere Devise“, erklärt Jürgen Schell,
Landwirtschaftsmeister aus Reilingen. „Ein wichtiges Arbeitsgerät für uns ist der
sogenannte ,Striegel’, mit dem Wildkräuter in Schach gehalten, aber nicht verdrängt
werden.“ Ganz ohne Dünger ginge es auch bei „Kraichgau Korn“ nicht. „So viel wie nötig,
sowenig wie nur irgendwie möglich – das ist unser Anspruch.“
Was die vorausschauenden Gründerväter der Marktgemeinschaft damals vielleicht
ahnten, wird heute immer offensichtlicher: Allmählich setzt ein Umdenken ein. Die EU-
Agrarpolitik fordert von Landwirten immer größeres Engagement zum Schutz der
Umwelt.
Vor 30 Jahren noch als „Exoten“ belächelt, sind die Landwirte von „Kraichgau Korn“
heute voll im Trend. „Wir sind etwas Besonderes, haben unseren Platz zwischen
konventioneller Landwirtschaft und Bio-Landwirtschaft“, meint Roland Waldi und fügt
nicht ohne Stolz hinzu: „Wir haben kein Bio-Siegel – unser Gütesiegel ist Qualität und
unser guter Name.“ Sprücheklopfer sind sie jedenfalls nicht, die „Kraichgaukörner“, wie
sie sich selbst nennen.
Regelmäßig nimmt Gerhard Risser, öffentlich bestellter Sachverständiger für
Landwirtschaft und von Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz anerkannter Prüfer,
Inspektionen vor. „Die Kontrollen sind streng“, versichert er. Eine Beanstandung habe es
in all den Jahren nie gegeben. „Neben der Feldkontrolle besuche ich die
weiterverarbeitenden Mühlen. Ich komme stets unangemeldet. Auch die Bäcker, die das
Mehl zu Brot, Brötchen und den begehrten süßen Stückle’ verarbeiten, nehme ich
mehrmals jährlich unter die Lupe.“ Müller und Bäcker hätten strikt darauf zu achten, dass
„Kraichgau Korn“-Mehl nicht mit anderen Erzeugnissen vermischt werde.
Noch am Anfang
Bauer sucht Bäcker – nein, kein Schreibfehler! Eine Lösung im Fall „Bauer sucht Frau“
wäre vielleicht schneller gefunden. Während im Kraichgau eine gutfunktionierende
Infrastruktur aufgebaut wurde, stehen die acht Landwirte aus der Region mit der
Vermarktung ihrer Produkte noch ziemlich am Anfang.
Matthias Leimbach, Landwirtschaftsmeister aus Gissigheim, ist seit acht Jahren Mitglied
von „Kraichgau Korn“. „Momentan wird unser Getreide noch per Lkw in den Kraichgau
geführt und dort weiterverarbeitet“, erklärt er. „Wir suchen nun hier in der Region eine
Mühle, vor allem aber Bäcker, die Lust haben, mit uns zusammenzuarbeiten – flexible
Unternehmer, die experimentierfreudig sind und den Mut haben, mit uns neue Wege zu
gehen.“ Auf das Zusammenspiel komme es an – beste Qualität des Mehls sowie
sorgfältige Weiterverarbeitung durch Mühlen und Bäckereien.
Die Grundzutaten
Das macht den Geschmack des Brotes aus, das nur drei Grundzutaten braucht: Mehl,
Wasser und Salz. Dazu nehme man ein wenig Heimatliebe, eine Spur Leidenschaft für
Natur und Landschaft und eine Prise Nostalgie, die heimliche unerfüllbare Sehnsucht
nach einer intakten Welt. Das alles mag der Verbraucher herausschmecken, wenn er mit
allen Sinnen genießt – Scheibe für Scheibe, Bissen für Bissen.
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